Herbst 1945 Fränkische Schweiz, spielt in Lützelsdorf im Trubachtal nähe Pretzfeld.
Eingeflochten eine Episode im Jahre 1944 in Italien, die mein Vater als Gefreiter eines Eisenbahnpionierbatl. erlebt hat.
Befreiung
Drei Tage vor Weihnachten in Bamberg.
Die Dämmerung war schon sehr früh hereingebrochen, als der Mann durch die schwere Türe trat und die kalte Luft fest einatmete.
Nur tief Luft holen.
In der Reichsbank war es stickig warm gewesen. Den ganzen Tag hatte die liedschäftige Heizung ihr Bestes gegeben. Fenster machte man nicht auf, aus Sparsamkeit. Schade um die warme Luft.
Nur tief Luftholen.
Er hatte einen schweren Gang vor sich, der Reichsbankinspektor im Jahre 1947.
Er sollte vom Gefängnis einen Häftling abholen, gegen Kaution.
So etwas hatte er ja noch nie gemacht.
Die Bamberger Kollegen lachten. "Hoffentlich halten Sie dich nicht fest im Café-Sandbad."
Er wusste nicht was sie meinten. Wie schon! Noch heute nennen die Bamberger die Justizvollzugsanstalt im Sand, - Café Sandbad. -
Wie lustig!Die Frau des Reichsbankinspektors hatte von Pretzfeld, dem nächstgelegenen Telefon, früh angerufen.
"Unseren Bürgermeister haben sie verhaftet, du musst ihn rausholen. Gegen Kaution kommt er wieder frei, wir brauchen ihn doch im Dorf."
Kaution, Geld, wie hoch ist die Summe? Dreihundert Reichsmark!
Bloß dreihundert Reichsmark. Reichsmark, Lappen, nichts wert.
Das Gehalt eines Inspektors lag bei ca. RM 250.- , da war die Kaution schon hoch angesetzt.
Der Inspektor konnte das Geld von seinem Konto leicht abheben, es war genug da, auf dem Papier. Was sollte er auch kaufen 1947, eine Zigarette 20.- RM am Bahnhof Bamberg, schwarz, nicht nur der Kauf, auch das grausliche Kraut, wenns keine amerikanischen waren...
Camel, Lucky Strike, glücklicher Zug.
Gesenkten Hauptes, gegen den kalten Wind, ging unser Mann die Brückenstraße hinunter über die Promenade.
Rechts von ihm ein Ruinenfeld, alles weggeputzt von der ‚Ari’, Amerikanische Kanonen. Heute steht dort der Tchibo und die Apotheke, daneben die Tanzschule Rössert.
Die alte Hauptwache steht, jedoch beim Math. Metzner sen. schwere Schäden.
Er geht links in Richtung Maxplatz.
Den Rekord gibt es nur in Ansätzen. Heute ist es das Kaufhaus Hohner.
Ich höre noch manchmal alte Leute sagen: Heute muss ich in die Stadt, ‚nein Rekord’.
Dann wissen die Jungen nicht, was die Oma meint.
Aber die Omas haben schon gelernt mit ihren Enkeln zu Mc Donalds zu gehen.
Notfalls zeigt die 4 jährige wo's langgeht.
Den Tietz gibt es auch nicht mehr, alles voll Flüchtlinge, er wird erst später wieder entstehen als Hertie. Der alte Name versteckt: Herrmann Tietz - Herti.
Grüner Markt vorbei - Richtung Kranen.
Blick auf den ‚Michelsberg’ in der Dämmerung.
War nicht immer so. Brände und Bomben haben uns Bambergern den neuen Blick beschert. Vorher haben Häuser diese Aussicht verstellt. Sie wurden nicht mehr aufgebaut, um von der Langen Straße, so heißt sie wieder, leichter in die Kapuzienerstraße zu kommen.
Eine alte Stadt in trauriger Zeit, die Gedanken schweifen ab, verlieren sich in der Vergangenheit.
Der Weltkrieg, er wurde der zweite genannt, lag nur mehr 2 Jahre zurück.
Was war seit dem alles geschehen.
Flucht, Vertreibung, - gestrandet in einem fränkischen Dorf. Jetzt ist der Schlesier auf dem Weg, seinen fränkischen Bürgermeister aus dem Knast zu holen.
Hat er das schon einmal gemacht? Die Erinnerungen steigen auf und verfestigen sich in seinen Gedanken.
Wie war das damals? Im Jahr 1944 - kurz vor Weihnachten.
Der Reichbankinspektor wurde noch eingezogen, mit 41 Jahren, für die Wehrmacht schon ein alter Mann.
Ausbildung im Osten in Polen, Schieratz (Sieradz)* hieß der Ort, kaum auszusprechen, lauter "Beutedeutsche" in der Kompanie, Polen, Ukrainer, Oberschlesier, halb Deutsch, halb Osten.
Kanonenfutter für Russland.
Dann die glückliche Wende. Aus dem Reichsbankinspektor wurde ein Reichsbahninspektor. Kleine Verwechslung .. vor beiden Inspektorentiteln stand das RB.
Kleine Dinge entscheiden oft das Schicksal.
Er wurde abkommandiert über Warschau, Breslau, Richtung Süden nach München, herrliches Bayern, dann nach Bozen und Verona, herrliches Südtirol.
Eisenbahnpionierbatallion in Verona. Sommerfrische im Krieg anstatt Birkenkreuz in Russland.
Jedoch fehl am Platze. Kein Eisenbahner, stellte der Major fest,
„Können sie lesen und schreiben“? „ Ja!“
Das heißt:“ -Jawoll- Herr Major“.
Also, dann ab in die Btl. Schreibstube. Da blieb dann der zivile Inspektor, wurde Gefreiter und Obergefreiter, nie richtig Soldat, aber in Uniform, Bürokratie hatte er ja gelernt, die ist auch im Krieg nicht anders.
Kurz vor Weihnachten kommt der Spieß mit dem Koch auf die Schreibstube:
" Mensch Pohl, wir können für Heilig Abend ein Festessen veranstalten, 4 Schweine in Aussicht."
"Ist ja prima, woher habt ihr die?"
"Haben wir noch nicht, die italienische Metzgersfrau hier stellt sie uns in Aussicht."
"Wo ist der Haken?"
"Tja, nur wenn ihr Mann freikommt, bekommen wir die Schweine, hintenrum."
"Und?"
"Und!.. er ist verhaftet und sitzt."
"Na und, holt ihn raus, hier sind alle bestechlich."
"Die ihn haben - leider nicht!" (SS)
Nicht die italienische Justiz, die SS hat ihn, er soll Partisan sein, ist aber Quatsch, dazu ist er viel zu dick, als dass er sich in den Wäldern und im Gebirge herumtreibt. Sicher ein Versehen bekräftigt der Spieß!
Und die Schweine, das wär' was, der Batallions Koch malt sich in Gedanken das Gulasch am Heiligen Abend aus.
Pohl, wir holen Ihn raus, Du machst die Papiere fertig, dass wir ihn haben müssen wegen ‚Verbrechen gegen die Wehrmacht’, denk Dir was aus.
Militärisch knapp und präzise wurde der Befehl auf der alten Schreibmaschine getippt, stichhaltig und glaubwürdig, Btl. Stempel und Unterschrift.
Unterschrift? Nur der Major kann das.
Lasst mich machen, sagte der Schreibstubenhengst.
Dem Kommandeur wird die Lage erklärt.
Er schmunzelt, meine Männer gegen die SS. Ob das gut geht.
-und unterschreibt den Befehl!
Der Spieß schaut bedenklich: Aber für meine Männer tue ich alles,als Mutter der Kompanie.
-und stellt den Trupp zusammen.
Der Koch hoffnungsfroh: Das wird ein Essen für meine Männer - und bereitet in der Küche alles für den Festschmaus vor.
Befreiungstrupp stillgestanden, rechts um, im Gleichschritt marsch!
Der Feldwebel von der Flakkompanie hat sich bereit erklärt den Trupp zu führen.
Vier Mann im Karree der Feldwebel links vor der Gruppe.
Der Major sagte noch, "dass ihr mir einen gefährlichen Eindruck macht!"
Gefährlichen Eindruck, alle Männer waren um die Vierzig, keine Wehrwölfe.
Wie macht man sich gefährlich?
Stiefel, Koppel, Stahlhelm.
In das Koppel wurden Stielhandgranaten gesteckt, Gewehr keins, dafür die gefürchteten Maschinenpistolen vor der Brust.
Der italienische Metzger wird im Schloss gefangen gehalten ,wurde ihnen gesagt.
Gut 2 Kilometer, keine Entfernung.
Schlossmauer, Eisernes Tor, Schlagbaum, Schilderhäuschen, wie üblich.
Kurzer Halt am Schlagbaum. Ein baumlanger SS Soldat prüfte die Papiere, fand sie gut und ließ weitermarschieren.
Beim Wachhabenden war es schon schwieriger, Aufenthalt, Feldtelefone rasselten, Verbindung zum Eisenbahnpionierbattalion, alles klar, habe mit dem Major gesprochen.
Das Wort eines deutschen Offiziers galt auch bei der SS.
Oben in einem der Säle standen die vermeintlichen und wirklichen Partisanen mit dem Gesicht zu Wand.
In der Mitte des Raumes zwei gelangweilte SS Kameraden, Maschinenpistolen im Anschlag.
Wer nun, der Feldwebel ging von Mann zu Mann und fragte die Namen ab.
Beim Neunten hatte er Glück. Es war ihr Metzger.
Man wollte gefährlich wirken, brüllte ihn an, zerrte ihn rum und trieb ihn aus dem Raum.
Dem armen Mann schlotterten die Knie. Er war ja unschuldig.
Und jetzt kommt das Erschießungskommando.
Das Erschießungskommando hatte auch weiche Knie. Es waren ja keine hartgesottenen Frontkämpfer.
Sie waren Eisenbahner im Zivilberuf, Beamte, Lokomotivführer,Kartenzwicker.
Als sie durch den Park am Schloss zum Tor zurück marschierten sahen sie das Grauen des Krieges. An den Alleebäumen hatten man Menschen aufgehängt.
Da hatte sie der Schrecken der Gewalt eingeholt. Das hatten sie noch nie gesehen.
Der Gefangene konnte kaum mithalten, so wurde der Schritt beschleunigt.
Das Tor, hindurch weiter die Straße hinunter, bis um die nächste Biegung.
Ein Aufatmen, man hielt an, setzte sich ins Gras, suchte eine Zigarette, reichte eine Grappaflasche herum, trank, auch der Italiener, er konnte nicht fassen was hier geschah.
Keine Erschießung, dafür einen Schluck auf den Schreck, einen Zug von der Zigarette.
Dann wurde ihm die Lage erklärt, er weinte Freudentränen.
Die selben Tränen hatte der Btl. Koch in den Augen, als der wehrmachtsgraue Opel-Blitz mit den die 5 Schweine - es war noch eins dazugekommen - vorfuhr. Ab in die Küche.
Am Hl Abend saßen die 4 Obergefreiten des Befreiungstrupps zusammen.
Der Feldwebel feierte bei seinen Flaksoldaten.
Das war ein Festessen gewesen, endlich mal richtig reinhauen, der Koch war der beliebteste Mann des ganzen Btl.
Der Kommandeur, zufrieden, kein Dank, sein Gesicht sagte alles.
Seine Soldaten satt.
Aus Zahnputzgläsern wurde Grappa getrunken, die Rotweinflasche machte die Runde.
Lakrima Christi - was für eine Marke - Die Tränen Christi!
--------------------------------------------------------------
Welch Weihnachtsabend 1944
Ganz in Gedanken versunken war unser Mann inzwischen vor dem großen eisernen Tor angekommen. Klingeln, kein Klingelknopf, nein eine richtige Glocke,
Klappe wurde geöffnet, das Anliegen vorgetragen, durch eine Tür in der Tür wurde man eingelassen.
Karger, ölgestrichener Raum, Tisch, Holzstuhl.
Dann wurde sein Bürgermeister vorgeführt.
Welch ein Gesichtsausdruck.
Eine Nacht mit Ganoven und Altnazis in der Zelle. Er, der christliche Bürgermeister, der Katholik in einer Evangelischen Gemeinde.
Von den Amis zum Bürgermeister befohlen, von seinen Bürgern zum Bürgermeister gemacht.
Anerkannt, der Schorsch macht das schon.
Die dreihundert Reichsmark wurden quittiert, Tinte, Feder deutsche Schrift, zum Dank noch einen Tintenklecks.
Die Quittung wurde noch jahrelang in der Familie aufgehoben, zur Erinnerung.
Keine Fragen, keine Antworten, man ging hinaus.
Erst auf der Straße:
Was ist denn in aller Welt passiert!
Oh eine dumme Geschichte, Schwarzschlachten.
Schwarzschlachten? Eine verbotene Sache.
In Pretzfeld, beim Lamerschorsch haben sie den Garten umgegraben und 40 Kuhfelle zu tage gefördert, dann war er fällig.
Man wusste es schon seit einigen Tagen, der hält dicht, zu viele stecken drin. Bürgermeister, Gemeinderäte, der Pfarrer bis zum Landrat.
Der Landrat? Ja, der Dr. Eberhardt, werdender CSU Landrat. Ein wichtiger Mann, er wurde später Staatsbankpräsident. Ich glaubte an die schützende Hand von oben, Pech.
Sakrament noch einmal, dass mir das passiert.
Was noch...
Na als wir hörten, dass es Hausdurchsuchungen gibt, und die Grünen, damals die Gendarmen (Landpolizei), auch zu mir kommen wollen, haben wir alles vertragen.
Alles was nach schlachten aussah. Ihre Mutter hatte in einer alten Tasche alle Knochenreste in Haus, Hof und Scheune gesammelt und in die Trubach geschmissen.
Alles war weg, alles, bis auf das verreckte Ding. Die Polizei wollte das Haus durchsuchen, kamen 5 Mann hoch und waren nach einer Minute wieder weg.
Ist ja gut!
Nein!!
Der erste Griff des Befehlshabenden in die Küchenschublade brachte den Schußapparat zutage.
Er lag ganz friedlich und einsam neben Messer und Gabel, das verreckte Ding.
Dann waren sie schon wieder weg, fündig geworden und den armen Bürgermeister im Schlepptau.
Ab nach Bamberg ins Café Sandbad.
Die dreihundert Mark Kaution hat man nie wieder gesehen, wie auf unsichtbare Weise wurde der Fall stillschweigend niedergeschlagen. Bis es zur Verhandlung kam, auch damals gingen die Mühlen der Justiz langsam, war die Währungsreform, das Geld sowieso nur noch Altpapier und schwarzschlachten nicht mehr lukrativ.
Oder war es doch die helfende Hand von oben, nicht von ganz, ganz oben, nein, der Landrat oder der Pfarrer haben schon genügt.
Irgendwie erledigte sich alles wie von selbst.
Die Amigos von damals wussten nur nicht dass sie Amigos, oder Seilschaften waren. Alles Begriffen einer neueren Zeit.
Nach dem Krieg waren es Notgemeinschaften und viele haben von den 40 Kühen gegessen. Das Unrechtsbewusstsein war begrenzt, der knurrende Magen sorgte schon dafür.
Von den Beteiligten wird keiner mehr leben. Ich habe jedoch die Geschichten von damals nicht vergessen.
Denken wir manchmal in der Fülle unserer Zeit daran, wie alles einmal anders war.
Jetzt nach über 60 Jahren schließt sich der Kreis.
Die Frau des Verfassers geht wie damals der Reichsbank- oder vermeintliche Bahnbeamter manchmal in den Bamberger Knast und hält bei den Gefangenen eine Malstunde ab.
Hochinteressant, diese Erfahrungen.
Ein kleiner Mafiosi, wegen mehrer Betrugsdelikte in U- haft sagte letzten Donnerstag in seinem feinen italienschen Deutsch.
"Hanne, wenn ich rauskomme, kann ich dir alles besorgen"
Der Mann der Malerin meinte nur lakonisch als er das hörte:
"Schreib dir die Adresse von dem Italiener auf, wann kann ja nie wissen ob wir den mal brauchen.
Zur Erinnerung an Georg Brütting
einen fränkischen Bürgermeister
Er war ein anständiger Mensch,
obwohl er einen Tag lang im Gefängnis saß
und das nicht einmal unschuldig.
Danke Ulrich! In diesem Blog ist noch viel Platz und ich habe Dir geschrieben, dass alles was nicht aufgezeichnet wird, verloren ist! Diese Woche habe ich verzweifelt dieses Schieratz gesucht! Ein Verwandter wurde 1944 dorthin zur Sturmgeschütz-Ersatz-Abteilung 200 versetzt.
Eingeflochten eine Episode im Jahre 1944 in Italien, die mein Vater als Gefreiter eines Eisenbahnpionierbatl. erlebt hat.
Befreiung
Drei Tage vor Weihnachten in Bamberg.
Die Dämmerung war schon sehr früh hereingebrochen, als der Mann durch die schwere Türe trat und die kalte Luft fest einatmete.
Nur tief Luft holen.
In der Reichsbank war es stickig warm gewesen. Den ganzen Tag hatte die liedschäftige Heizung ihr Bestes gegeben. Fenster machte man nicht auf, aus Sparsamkeit. Schade um die warme Luft.
Nur tief Luftholen.
Er hatte einen schweren Gang vor sich, der Reichsbankinspektor im Jahre 1947.
Er sollte vom Gefängnis einen Häftling abholen, gegen Kaution.
So etwas hatte er ja noch nie gemacht.
Die Bamberger Kollegen lachten. "Hoffentlich halten Sie dich nicht fest im Café-Sandbad."
Er wusste nicht was sie meinten. Wie schon! Noch heute nennen die Bamberger die Justizvollzugsanstalt im Sand, - Café Sandbad. -
Wie lustig!Die Frau des Reichsbankinspektors hatte von Pretzfeld, dem nächstgelegenen Telefon, früh angerufen.
"Unseren Bürgermeister haben sie verhaftet, du musst ihn rausholen. Gegen Kaution kommt er wieder frei, wir brauchen ihn doch im Dorf."
Kaution, Geld, wie hoch ist die Summe? Dreihundert Reichsmark!
Bloß dreihundert Reichsmark. Reichsmark, Lappen, nichts wert.
Das Gehalt eines Inspektors lag bei ca. RM 250.- , da war die Kaution schon hoch angesetzt.
Der Inspektor konnte das Geld von seinem Konto leicht abheben, es war genug da, auf dem Papier. Was sollte er auch kaufen 1947, eine Zigarette 20.- RM am Bahnhof Bamberg, schwarz, nicht nur der Kauf, auch das grausliche Kraut, wenns keine amerikanischen waren...
Camel, Lucky Strike, glücklicher Zug.
Gesenkten Hauptes, gegen den kalten Wind, ging unser Mann die Brückenstraße hinunter über die Promenade.
Rechts von ihm ein Ruinenfeld, alles weggeputzt von der ‚Ari’, Amerikanische Kanonen. Heute steht dort der Tchibo und die Apotheke, daneben die Tanzschule Rössert.
Die alte Hauptwache steht, jedoch beim Math. Metzner sen. schwere Schäden.
Er geht links in Richtung Maxplatz.
Den Rekord gibt es nur in Ansätzen. Heute ist es das Kaufhaus Hohner.
Ich höre noch manchmal alte Leute sagen: Heute muss ich in die Stadt, ‚nein Rekord’.
Dann wissen die Jungen nicht, was die Oma meint.
Aber die Omas haben schon gelernt mit ihren Enkeln zu Mc Donalds zu gehen.
Notfalls zeigt die 4 jährige wo's langgeht.
Den Tietz gibt es auch nicht mehr, alles voll Flüchtlinge, er wird erst später wieder entstehen als Hertie. Der alte Name versteckt: Herrmann Tietz - Herti.
Grüner Markt vorbei - Richtung Kranen.
Blick auf den ‚Michelsberg’ in der Dämmerung.
War nicht immer so. Brände und Bomben haben uns Bambergern den neuen Blick beschert. Vorher haben Häuser diese Aussicht verstellt. Sie wurden nicht mehr aufgebaut, um von der Langen Straße, so heißt sie wieder, leichter in die Kapuzienerstraße zu kommen.
Eine alte Stadt in trauriger Zeit, die Gedanken schweifen ab, verlieren sich in der Vergangenheit.
Der Weltkrieg, er wurde der zweite genannt, lag nur mehr 2 Jahre zurück.
Was war seit dem alles geschehen.
Flucht, Vertreibung, - gestrandet in einem fränkischen Dorf. Jetzt ist der Schlesier auf dem Weg, seinen fränkischen Bürgermeister aus dem Knast zu holen.
Hat er das schon einmal gemacht? Die Erinnerungen steigen auf und verfestigen sich in seinen Gedanken.
Wie war das damals? Im Jahr 1944 - kurz vor Weihnachten.
Der Reichbankinspektor wurde noch eingezogen, mit 41 Jahren, für die Wehrmacht schon ein alter Mann.
Ausbildung im Osten in Polen, Schieratz (Sieradz)* hieß der Ort, kaum auszusprechen, lauter "Beutedeutsche" in der Kompanie, Polen, Ukrainer, Oberschlesier, halb Deutsch, halb Osten.
Kanonenfutter für Russland.
Dann die glückliche Wende. Aus dem Reichsbankinspektor wurde ein Reichsbahninspektor. Kleine Verwechslung .. vor beiden Inspektorentiteln stand das RB.
Kleine Dinge entscheiden oft das Schicksal.
Er wurde abkommandiert über Warschau, Breslau, Richtung Süden nach München, herrliches Bayern, dann nach Bozen und Verona, herrliches Südtirol.
Eisenbahnpionierbatallion in Verona. Sommerfrische im Krieg anstatt Birkenkreuz in Russland.
Jedoch fehl am Platze. Kein Eisenbahner, stellte der Major fest,
„Können sie lesen und schreiben“? „ Ja!“
Das heißt:“ -Jawoll- Herr Major“.
Also, dann ab in die Btl. Schreibstube. Da blieb dann der zivile Inspektor, wurde Gefreiter und Obergefreiter, nie richtig Soldat, aber in Uniform, Bürokratie hatte er ja gelernt, die ist auch im Krieg nicht anders.
Kurz vor Weihnachten kommt der Spieß mit dem Koch auf die Schreibstube:
" Mensch Pohl, wir können für Heilig Abend ein Festessen veranstalten, 4 Schweine in Aussicht."
"Ist ja prima, woher habt ihr die?"
"Haben wir noch nicht, die italienische Metzgersfrau hier stellt sie uns in Aussicht."
"Wo ist der Haken?"
"Tja, nur wenn ihr Mann freikommt, bekommen wir die Schweine, hintenrum."
"Und?"
"Und!.. er ist verhaftet und sitzt."
"Na und, holt ihn raus, hier sind alle bestechlich."
"Die ihn haben - leider nicht!" (SS)
Nicht die italienische Justiz, die SS hat ihn, er soll Partisan sein, ist aber Quatsch, dazu ist er viel zu dick, als dass er sich in den Wäldern und im Gebirge herumtreibt. Sicher ein Versehen bekräftigt der Spieß!
Und die Schweine, das wär' was, der Batallions Koch malt sich in Gedanken das Gulasch am Heiligen Abend aus.
Pohl, wir holen Ihn raus, Du machst die Papiere fertig, dass wir ihn haben müssen wegen ‚Verbrechen gegen die Wehrmacht’, denk Dir was aus.
Militärisch knapp und präzise wurde der Befehl auf der alten Schreibmaschine getippt, stichhaltig und glaubwürdig, Btl. Stempel und Unterschrift.
Unterschrift? Nur der Major kann das.
Lasst mich machen, sagte der Schreibstubenhengst.
Dem Kommandeur wird die Lage erklärt.
Er schmunzelt, meine Männer gegen die SS. Ob das gut geht.
-und unterschreibt den Befehl!
Der Spieß schaut bedenklich: Aber für meine Männer tue ich alles,als Mutter der Kompanie.
-und stellt den Trupp zusammen.
Der Koch hoffnungsfroh: Das wird ein Essen für meine Männer - und bereitet in der Küche alles für den Festschmaus vor.
Befreiungstrupp stillgestanden, rechts um, im Gleichschritt marsch!
Der Feldwebel von der Flakkompanie hat sich bereit erklärt den Trupp zu führen.
Vier Mann im Karree der Feldwebel links vor der Gruppe.
Der Major sagte noch, "dass ihr mir einen gefährlichen Eindruck macht!"
Gefährlichen Eindruck, alle Männer waren um die Vierzig, keine Wehrwölfe.
Wie macht man sich gefährlich?
Stiefel, Koppel, Stahlhelm.
In das Koppel wurden Stielhandgranaten gesteckt, Gewehr keins, dafür die gefürchteten Maschinenpistolen vor der Brust.
Der italienische Metzger wird im Schloss gefangen gehalten ,wurde ihnen gesagt.
Gut 2 Kilometer, keine Entfernung.
Schlossmauer, Eisernes Tor, Schlagbaum, Schilderhäuschen, wie üblich.
Kurzer Halt am Schlagbaum. Ein baumlanger SS Soldat prüfte die Papiere, fand sie gut und ließ weitermarschieren.
Beim Wachhabenden war es schon schwieriger, Aufenthalt, Feldtelefone rasselten, Verbindung zum Eisenbahnpionierbattalion, alles klar, habe mit dem Major gesprochen.
Das Wort eines deutschen Offiziers galt auch bei der SS.
Oben in einem der Säle standen die vermeintlichen und wirklichen Partisanen mit dem Gesicht zu Wand.
In der Mitte des Raumes zwei gelangweilte SS Kameraden, Maschinenpistolen im Anschlag.
Wer nun, der Feldwebel ging von Mann zu Mann und fragte die Namen ab.
Beim Neunten hatte er Glück. Es war ihr Metzger.
Man wollte gefährlich wirken, brüllte ihn an, zerrte ihn rum und trieb ihn aus dem Raum.
Dem armen Mann schlotterten die Knie. Er war ja unschuldig.
Und jetzt kommt das Erschießungskommando.
Das Erschießungskommando hatte auch weiche Knie. Es waren ja keine hartgesottenen Frontkämpfer.
Sie waren Eisenbahner im Zivilberuf, Beamte, Lokomotivführer,Kartenzwicker.
Als sie durch den Park am Schloss zum Tor zurück marschierten sahen sie das Grauen des Krieges. An den Alleebäumen hatten man Menschen aufgehängt.
Da hatte sie der Schrecken der Gewalt eingeholt. Das hatten sie noch nie gesehen.
Der Gefangene konnte kaum mithalten, so wurde der Schritt beschleunigt.
Das Tor, hindurch weiter die Straße hinunter, bis um die nächste Biegung.
Ein Aufatmen, man hielt an, setzte sich ins Gras, suchte eine Zigarette, reichte eine Grappaflasche herum, trank, auch der Italiener, er konnte nicht fassen was hier geschah.
Keine Erschießung, dafür einen Schluck auf den Schreck, einen Zug von der Zigarette.
Dann wurde ihm die Lage erklärt, er weinte Freudentränen.
Die selben Tränen hatte der Btl. Koch in den Augen, als der wehrmachtsgraue Opel-Blitz mit den die 5 Schweine - es war noch eins dazugekommen - vorfuhr. Ab in die Küche.
Am Hl Abend saßen die 4 Obergefreiten des Befreiungstrupps zusammen.
Der Feldwebel feierte bei seinen Flaksoldaten.
Das war ein Festessen gewesen, endlich mal richtig reinhauen, der Koch war der beliebteste Mann des ganzen Btl.
Der Kommandeur, zufrieden, kein Dank, sein Gesicht sagte alles.
Seine Soldaten satt.
Aus Zahnputzgläsern wurde Grappa getrunken, die Rotweinflasche machte die Runde.
Lakrima Christi - was für eine Marke - Die Tränen Christi!
--------------------------------------------------------------
Welch Weihnachtsabend 1944
Ganz in Gedanken versunken war unser Mann inzwischen vor dem großen eisernen Tor angekommen. Klingeln, kein Klingelknopf, nein eine richtige Glocke,
Klappe wurde geöffnet, das Anliegen vorgetragen, durch eine Tür in der Tür wurde man eingelassen.
Karger, ölgestrichener Raum, Tisch, Holzstuhl.
Dann wurde sein Bürgermeister vorgeführt.
Welch ein Gesichtsausdruck.
Eine Nacht mit Ganoven und Altnazis in der Zelle. Er, der christliche Bürgermeister, der Katholik in einer Evangelischen Gemeinde.
Von den Amis zum Bürgermeister befohlen, von seinen Bürgern zum Bürgermeister gemacht.
Anerkannt, der Schorsch macht das schon.
Die dreihundert Reichsmark wurden quittiert, Tinte, Feder deutsche Schrift, zum Dank noch einen Tintenklecks.
Die Quittung wurde noch jahrelang in der Familie aufgehoben, zur Erinnerung.
Keine Fragen, keine Antworten, man ging hinaus.
Erst auf der Straße:
Was ist denn in aller Welt passiert!
Oh eine dumme Geschichte, Schwarzschlachten.
Schwarzschlachten? Eine verbotene Sache.
In Pretzfeld, beim Lamerschorsch haben sie den Garten umgegraben und 40 Kuhfelle zu tage gefördert, dann war er fällig.
Man wusste es schon seit einigen Tagen, der hält dicht, zu viele stecken drin. Bürgermeister, Gemeinderäte, der Pfarrer bis zum Landrat.
Der Landrat? Ja, der Dr. Eberhardt, werdender CSU Landrat. Ein wichtiger Mann, er wurde später Staatsbankpräsident. Ich glaubte an die schützende Hand von oben, Pech.
Sakrament noch einmal, dass mir das passiert.
Was noch...
Na als wir hörten, dass es Hausdurchsuchungen gibt, und die Grünen, damals die Gendarmen (Landpolizei), auch zu mir kommen wollen, haben wir alles vertragen.
Alles was nach schlachten aussah. Ihre Mutter hatte in einer alten Tasche alle Knochenreste in Haus, Hof und Scheune gesammelt und in die Trubach geschmissen.
Alles war weg, alles, bis auf das verreckte Ding. Die Polizei wollte das Haus durchsuchen, kamen 5 Mann hoch und waren nach einer Minute wieder weg.
Ist ja gut!
Nein!!
Der erste Griff des Befehlshabenden in die Küchenschublade brachte den Schußapparat zutage.
Er lag ganz friedlich und einsam neben Messer und Gabel, das verreckte Ding.
Dann waren sie schon wieder weg, fündig geworden und den armen Bürgermeister im Schlepptau.
Ab nach Bamberg ins Café Sandbad.
Die dreihundert Mark Kaution hat man nie wieder gesehen, wie auf unsichtbare Weise wurde der Fall stillschweigend niedergeschlagen. Bis es zur Verhandlung kam, auch damals gingen die Mühlen der Justiz langsam, war die Währungsreform, das Geld sowieso nur noch Altpapier und schwarzschlachten nicht mehr lukrativ.
Oder war es doch die helfende Hand von oben, nicht von ganz, ganz oben, nein, der Landrat oder der Pfarrer haben schon genügt.
Irgendwie erledigte sich alles wie von selbst.
Die Amigos von damals wussten nur nicht dass sie Amigos, oder Seilschaften waren. Alles Begriffen einer neueren Zeit.
Nach dem Krieg waren es Notgemeinschaften und viele haben von den 40 Kühen gegessen. Das Unrechtsbewusstsein war begrenzt, der knurrende Magen sorgte schon dafür.
Von den Beteiligten wird keiner mehr leben. Ich habe jedoch die Geschichten von damals nicht vergessen.
Denken wir manchmal in der Fülle unserer Zeit daran, wie alles einmal anders war.
Jetzt nach über 60 Jahren schließt sich der Kreis.
Die Frau des Verfassers geht wie damals der Reichsbank- oder vermeintliche Bahnbeamter manchmal in den Bamberger Knast und hält bei den Gefangenen eine Malstunde ab.
Hochinteressant, diese Erfahrungen.
Ein kleiner Mafiosi, wegen mehrer Betrugsdelikte in U- haft sagte letzten Donnerstag in seinem feinen italienschen Deutsch.
"Hanne, wenn ich rauskomme, kann ich dir alles besorgen"
Der Mann der Malerin meinte nur lakonisch als er das hörte:
"Schreib dir die Adresse von dem Italiener auf, wann kann ja nie wissen ob wir den mal brauchen.
Zur Erinnerung an Georg Brütting
einen fränkischen Bürgermeister
Er war ein anständiger Mensch,
obwohl er einen Tag lang im Gefängnis saß
und das nicht einmal unschuldig.
Danke Ulrich! In diesem Blog ist noch viel Platz und ich habe Dir geschrieben, dass alles was nicht aufgezeichnet wird, verloren ist! Diese Woche habe ich verzweifelt dieses Schieratz gesucht! Ein Verwandter wurde 1944 dorthin zur Sturmgeschütz-Ersatz-Abteilung 200 versetzt.
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