Lieber Karl
Gerne denke ich an den Besuch zurück bei dir. Waren es doch nun schon 49 Jahre her, als wir bei der dritten Kompanie beisammen waren. Ich freute mich sehe Dich noch einmal wieder gesehen zu haben. Das Treffen in Bamberg haben wir gut überstanden. Nun lieber Karl, ich denke daran, wie du mir von den Gräbern unserer Kameraden, insbesondere von Dietz Martin (aus Staffelstein) *erzählt hast. Ich fahre am 22. Juni wieder nach Danzig und die Nehrung. Wie ich dir schon erzählt habe, suche ich dort Gräber und von unseren Kameraden. Ich weiß, dass alles eingeebnet wurde. Doch hoffe ich noch Zeugen finden zu können, die mir vielleicht Hinweise geben könnten. Ich habe dir nun zwei Karten beigelegt vom Raum der letzten Kämpfe. Ich würde dich lieber Karl bitten, so weit Du Dich noch erinnern kannst, die Stelle einzuzeichnen wo die Gräber liegen. Insbesondere von Dietz Martin. Vielleicht kannst Du mir auch Anhaltspunkte beschreiben. Ich will mir Mühe geben, genaue Lage zu erkunden um es dem deutschen Kriegsgräberdienst zu melden. Ab 1.4.1945 gibt es keine Aufzeichnungen mehr. Vielleicht kannst Du auch eine ungefähre Zahl nennen, wie viele Gräber es geben soll. Zeichne also bitte dem Platz ein wie Du es eben glaubst und schicke mir die Karten umgehend zurück. Was mich noch interessieren würde, Du hast gesprochen dass Ihr als Küstenschutz** eingesetzt war. Bitte schildere mir Eueren Einsatz, ab wann und wer beteiligt war, ebenso warum Ihr nicht mehr weggekommen seid. Wie du vielleicht auch weißt, ist Paul Palm vor zwei Jahren verstorben. Er war zwei Jahre früher bei mir zu Besuch. Also lieber Karl, ich interessiere mich sehr dafür. Vielleicht will es der Zufall, dass wir uns doch einmal wieder sehen.
Die Zeit bei Dir war leider viel zu kurz.
Ich wünsche Dir noch gute Gesundheit und grüße Dich mit Deiner Familie sehr herzlich
Dein ehemaliger Panzerwart
Peter Oberhuber
von rechts: De Lorenzo, oder Tolerenzo aus Südtirol, Peter Oberhuber und Martin Dietz...
*Martin Dietz aus Staffelstein
** Man hatte Olt. Petrelli zum "Küstenkommendanten" ernannt.
1. Februar 2014,
ich sitze wieder vor der "Klopapierolle" des Panzerregiments. Wer hätte das jemals gedacht, dass dieser Blog soviel Interesse und 101.671 Zugriffe auslösen würde...
Nachdem es nicht möglich ist (was auch gut ist) zwischen den geschriebenen Post, neue Seiten einzufügen, kann ich aber nach 527 Post (und zwei Entwürfen) zu meinem ersten Post etwas dazu schreiben.
Nämlich wie es begann...
Als ich 1969 meine Frau kennenlernte und in die Familie Spengler/Müller eintrat, wuchs mir schnell die "Thea" Oma ans Herz. Sie war damals schon krank und es sollte ein langsamer, beschwerlicher Tod werden. Doch genug Zeit, mich über viele Familieninternas zu unterrichten und mir viele Erinnerungen an ihren Sohn Hans mitzugeben. Ausser ihren Erzählungen existierte nur ein kleines Gästebuch mit einigen Fotoabzügen und der Skizze, welche in Bamberg 1952 von den Kameraden angefertigt wurde und die Lage am 14. November 1943 zeigte, als der Olt. Hans Müller nach verlassen (ausbooten) seines Panzers fiel. Einige Jahre später verschlechterte sich der Gesundheitszustand der "Thea Oma" und der Krebs siegte über den Körper. Neben dem Bett stand auf dem Nachttischchen die Flasche mit dem Morphium, um die schlimmsten Schmerzen zu lindern. Wir hatten ein solch nahes Verhältnis gefunden, dass ich sie fragen konnte, warum sie nicht das Fläschchen auf einmal leerte um den Dauerschmerzen und der Pein des Leidens ein Ende zu bereiten. Sie sagte mir, dass sie wachen Geistes und wachen Auges dem Tode begegnen möchte und dass sie ihr Ende sich nicht leichter machen möchte, als es ihr Sohn Hans erfahren habe. Sie bewahrte sich also die gleiche Tapferkeit, den gleichen Mut wie ihr Sohn bis zum letzten Moment ihres Lebens auf. Sie sagte mir auch, dass sie seit dem bewussten Tag im November, jeden Tag ihres Lebens, ihres Sohnes gedachte... Des Morgens das erste Mal und des Abends das letzte Mal... Das ist Mutterliebe...
So erfülle ich hiermit eigentlich nichts anderes als die Fortsetzung des Gedenkens und die Einhaltung eines Versprechens der lange verstorbenen Thea Oma...
Bereits in den siebziger Jahren erfuhr ich, dass sich aus der Kompanie von Hans ein Mann gemeldet habe, der in Nürnberg ein Baugeschäft, in der Bruneckerstrasse betreibe. "Schneider" sei sein Name.
Doch die wichtigsten Jahre als "selbst und ständiger" Unternehmer brachen für mich an und die Jahre flossen an mir vorbei.
Eines Tages ergriff ich spontan den Hörer des Telefones und wählte die Nummer des Herrn Schneider. Ich bekam ihn an den Apparat und... wurde abgewimmelt! "Morgen fahre er mit seinem Spieß nach Bamberg zu einem Kameradentreffen und man werde weitersehen"...- Jahre vergingen -
Die Digitalisierung und das PC Zeitalter eroberten das Land und ich hatte meinen ersten Panasonic Laptop mit digitalisierten Bildern aus dem Gästebuch der Familie.
Irgendwann nach dem Millenium 2000 packte ich den Laptop ein, fuhr in die Bruneckerstrasse, fand den Baustoffgroßhandel Schneider und verlangte von der bewachenden Bürolöwin den "Chef" zu sprechen. Wirklich tauchte aus den hinteren Gefilden ein etwas kleiner, aber wacher Mann auf und fragte mich mit einer satten Baritonstimme nach meinem Begehr... Ich klappte den Laptop auf und zeigte ihm stumm das Bild auf dem Schirm. "Das ist der Hans!" rief er. So begann des "Remake" Panzerregiment 35...
Ich wurde zum Kameradschaftstreffen ins "Delsenbach" Café eingeladen. Meine Frau und ich wurden herzlich aufgenommen, senkten wir doch den Altersdurchschnitt erheblich!
Peinlich genau wurde eine Anwesenheitsliste in das aufliegende Gästebuch von Armin Fischermeier eingetragen. Jeder Geburtstag, jede Krankheit, jeder Todesfall fand seine Würdigung. Herr Schneider wurde zu "Fritz". Er kam noch selbst im BMW gefahren und allmählich fand ich mich im Kreise der Veteranen und noch zahlreicheren Witwen zurecht. Bamberg wurde angefahren, meine Kreise erweiterten sich explosionsartig und ich wurde Zeuge wie mit entsprechender Motivation aus scheinbar "alten" Männern noch trinkfeste, stimmgewaltige Exkrieger wurden.
Eines Tages sprach ich meinen Freund "Fritz" auf mein Telefongespräch von einst an! Ich war sehr überrascht, dass er sich sofort an dieses Gespräch erinnern konnte. Noch mehr überrascht war ich, als er mir beim nächsten Kameradentreffen einen Notizzettel auf den Tisch legte. Es war der Notizzettel von damals! Er hatte sich darauf mit Stenoschrift notiert dass "Zeis" angerufen habe. Er sagte mir dann, dass es ihm sehr leid täte, dass er mich damals "abgewimmelt" hätte. Ich tröstete ihn mit den Worten, dass es damals einfach noch nicht an der Zeit gewesen wäre, zusammen zu kommen um einen Schlußstein zu setzen. Er hatte also alle seine Gespräche stenographiert und abgelegt! So etwas hatte ich noch sie gesehen!
( Seine Mutter war eine ausgezeichnete Sekretärin und hatte seine gesamten Feldpostbriefe, einschließlich der numerierten Feldpost- Päckchenbelege von 1941 bis 1945 in einer gesonderten Mappe abgelegt)
Penibel hatte auch er seine gesamte Feldpost und seine Briefe mit Eberbach abgelegt und gesammelt!
Gerade in diesen wenigen Jahren hätte man unglaublich viel erreichen können. Noch lebten so viele der alten Kämpfer verstreut über das Land! Keiner hatte Internet, keiner verfasste Memoiren. Wie auch! Nur die kinderlosen sprachen mit mir in einer wahrheitsgetreuen Weise, ohne Rücksicht auf Ansehen, Reputation. Wer "scheisst sich schon ins eigene Nest" in dem die eigene Familie, Nachfahren, oder die Verwandschaft lebt?
Mit jedem neuen Jahr lichteten sich die Reihen und die Überlebenden fristeten, oder fristen ihr Dasein in Altersheimen, mehr oder weniger komfortabel.
"Alt werden ist nichts für Feiglinge!" heisst es, aber letztlich ist man für jeden weiteren erlebten Tag dankbar.
So versuchte ich wie ein Archäologe mit "Notgrabungen" wenigstens das machbare zu erreichen.
Gerhard Georgi half mir unendlich viel und war hoch motiviert. Die Grenze war gefallen und er konnte gefahrlos seines Vaters gedenken und wertvolle Spuren suchen. Er war ja erst drei Jahre alt, als sein Vater in Teploje fiel. Er war unermüdlich auf Spurensuche und fuhr Tausende von Kilometern kreuz und quer, um Zeitzeugen zu finden. Er brachte mich auch zu Arno Debus und zu Karl Schneider, dem I-Staffel Führer der 3. Kp. einem der wissensten und gescheitesten Menschen welche mir in diesem hohen Alter jemals begegneten.
Es wurde eine lange Reise mit vielen Erkenntnissen, welche auch mein Leben veränderten. Es war eine sehr intensive Auseinandersetzung mit der Psyche der Menschen. Es war nichts anderes als eine lange Reise in die Erinnerung dieser Menschen. So viele unterschiedliche Fingerabdrücke es auf dieser Erde gibt, so viele unterschiedliche Psychen gibt es. Alles ist ähnlich, doch nichts ist gleich!
Keine Regel, ohne Ausnahme, keine Ausnahme, ohne die dahinter stehende Regel...
Wieder sieht man sich als Archäologe der die gesammelte Erde oben in das erste Sieb kippt...
Zuerst taucht man in die Geisteswelt seine Gegenübers ein, -
erst dann erscheint die Geschichte, die Historie, verändert, persönlich wahrgenommen mit den Eigenschaften des Zeitzeugen.
Was ist Fakt, was ist persönliche Wahrnehmung?
Was ist Selbsttäuschung? - Es kommt auf das Thema an!
Es kommt auf den Zusammenhang des Geschehens und er psychischen Eigenschaften des Zeitzeugen an...
Belasten, oder entlasten sie den Erzählenden?
Wie groß ist das Vertrauensverhältnis?
Das letzte Sieb ist eng, sehr eng...
Eines habe ich aber gelernt;
auch nach Jahrzehnten konnten sich Veteranen an kleinste Gesten, an minimalste Kleinigkeiten erinnern!
- wenn sie nur wollten -
und wenn ihnen die geistigen Voraussetzungen dafür erhalten blieben...