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Über jeden Soldaten liesse sich ein Buch schreiben...

Sonntag, 3. Juli 2011

Gedankenpause...

Morgen also wird die erste Kompanie unter Olt.v. Cossel Stary Bychow erreichen...
Befehl: Die Brücken von Stary Bychow im Handstreich zu nehmen und einen Brückenkopf zu bilden.
Fritz Schneider: " Wir alle wussten, dass diese Brücken, die "Eichenlaubbrücken" für Eberbach waren!"
Morgen werden Sigi Breu, Lt. König, Fw. Göhrle, und die Anderen sterben...
Richard von Rosen, Fritz Schneider, Heinz Goller, Otto Eidloth werden morgen schweren Herzens Ihrer gedenken...
Die Werkstatt wird auf dem Flughafen von Stary Bychow stationiert werden - es wird der gleiche Flughafen sein, von dem aus dann die sowjetischen Streitkräfte ihre Angriffe auf  Danzig und Königsberg nach der Rückeroberung von Stary Bychow fliegen werden. Unser Hans Müller wird noch einmal im November 43 über den Dnjepr zurückkommen, - dann wird auch er wie so viele fallen.
Nicht viele werden die Gebiete des Vormarsches wiedersehen. Gen. Eberbach sagte zu Fritz Schneider: " Wenn die Russen uns damals nach Stary Bychow in die Zange genommen hätten, dann wäre es schon damals mit uns geschehen gewesen." 
Es lässt sich nur vermuten, was unser Hans Müller damals fühlte, aber es muss kurz nach Stary Bychow einen gewaltigen Bruch in seiner Gemütslage und in seiner Seele gegeben haben.
Er wird nie mehr ein Tagebuch führen!
Was er erleben wird, kann er nicht mehr zu Papier bringen...
Er verabschiedet sich auf der letzten Seite ...
Ob es mit seinem Wechsel als Ordonnanzoffizier zu Major v. Lauchert und den Erkenntnissen damit zusammenhing, oder mit dem Besuch des Grafen v. Stauffenberg am 11.Juli, der ja schon aus seiner Zeit des getarnten Reiterregimentes 12 mit einigen hohen Offizieren des Regimentes eng befreundet war, - wir wissen es nicht. Es wird sich auch nicht mehr feststellen lassen. Aber man kann erkennen, dass sich die Erkenntnis verbreitet, dass es nun kein Zurück mehr geben wird. Entweder Sieg, oder Tod. Mit den bestialischen Verbrechen im Rücken des Regimentes wird auch den Soldaten jede Möglichkeit bewusst verhindert, einen anderen Weg zu wählen. Der alte Geist der Germanen, Vorräte, Brücken und eigene Hütten zu verbrennen, um nur noch den Weg des Sieges, oder des Unterganges begehen zu können, wurde tief in die Gehirne der jungen Menschen eingegraben und zu Lebensmaximen erhoben.
Den noch anhaltenden Siegeszug des Regimentes werden die Frauen und Kinder Preussens und Pommerns bitter büssen müssen. Ein geistiger Zusamenhang zwischen dem siegreichen Vormarsch und dem unendlichen Leid des Rückzuges ist nicht immer und überall und auch bei vielen Veteranen nicht zu finden gewesen.
Der Mensch verdrängt gerne und Wahrheit ist eine bittere Medizin.
Man mag mir diese sehr persönlichen Zeilen verzeihen, aber zu lange habe ich mich mit den Menschen des Regiments befasst, als dass ich hier nicht einmal  darüber sprechen muss. Es sind diese Ungeheuerlichkeiten denen wir als Nachforschende begegnen. Das Individuum im Einzelnen ist nicht mehr durchschaubar, nicht mehr begreifbar. Man kann nur noch die Gattung Mensch begaffen und ist fassungslos welche Spielarten die Evolution geschaffen hat. Der einzelne Mensch schafft es scheinbar mühelos, sich selbst immer wieder neu zu erfinden, seine Seele neu zu programmieren und sich eine neue Wahrheit und ein neues, unbeflecktes seelisches Gewand zu schneidern. Es gibt eine schmale Türe, durch die wenige hindurchpassen. Diese Türe heisst Musik, Kunst, Toleranz und Gefühl. An dieser Türe bleiben viele hängen...

Vielleicht ist mir der H.D.v. Cossel auch deshalb so sympatisch, weil er ausser seinem Schwur vor der Mutter, nicht auf Zivilisten geschossen zu haben, ein Herz für nebensächliche Dinge hatte. V. Lauchert war anerkanntermassen der bessere Stratege... Eberbach brauchte ihn notgedrungen trotz seiner menschlichen Schwächen ... Doch v. Cossel war der menschlichere!
Seine Schwester erzählt: " Meine Mutter musste ganz Berlin abklappern nach einer Ziehharmonika. Eine Hohner musste es sein! Dabei konnte Hans- Detloff gar nicht spielen! Endlich konnte Mutter das Ding kaufen und an die Front schicken!" Nach Jahrzehneten erzählt Fritz Schneider, dass Cossel sich extra ein Akkordeon schicken liess, um sich vorspielen zu lassen, da er so die Musik liebte.

Die Einheit meines Vaters tritt 1943 in Deggendorf an und erhält den Befehl nach Russland an die Front verlegt zu werden.
Ein Soldat springt darauf hin auf die Motorhaube eines LKW und schreit:
" Ihr könnt mich am Arsch lecken! Ich gehe nicht an die Front!"
Er springt dann kopfüber mit angelegten Armen auf den Betonboden und ist sofort tot!

Wer hat noch den Mut und springt heutzutage?